Wenige Tage vor der Leichtathletik-WM in Eugene/Oregon blickten die Leichtathletik-Experten gespannt nach Jerusalem, wo fast tausend Leichtathletik-Nachwuchssportler aus 48 Nationen bei der U18-Europameisterschaft antraten. Nachdem die bereits 2020 einmal verschobene U18-EM (Rieti/Italien) letztes Jahr wegen Corona ganz abgesagt wurde, mussten die Nachwuchs-Talente vier Jahre auf ihre Kontinentalwettkämpfe warten. Israel richtete zum ersten Mal eine internationale Meisterschaft aus. Nach Tiflis (Georgien) 2016 und Györ (Ungarn) 2018 waren es erst die dritten U18-Europameisterschaften. Der Deutsche Leichtathletikverband nahm mit einem Team von 51 Athletinnen und Athleten an den Wettkämpfen teil.
Internationale Topleistungen
Die bemerkenswerteste Leistung der Wettkämpfe erzielte der Italiener Mattia Furlani, der in Jerusalem im Weit- und Hochsprung an den Start ging. Furlani sprang bisher ausschließlich hoch, mit einer Bestleistung von 2,17m, und nimmt erst seit 2 Monaten (!!) zusätzlich an Weitsprung-Wettkämpfen teil. In seinem ersten richtigen Freiluft-Wettkampf im Weitsprung erzielte der 17jährige kürzlich bei den italienischen U18-Meisterschaften auf Anhieb bemerkenswerte 7,87m. In Jerusalem gewann er in seinem erst dritten Weitsprung-Wettkampf die Goldmedaille und erzielte mit 8,04m nicht nur Championship Record (CR), sondern wurde auch zum ersten europäischen U18-Athleten, der im Freien die Acht-Meter Marke übertraf. Zwei Tage später gewann er auch im Hochsprung mit 2,15m und avancierte zum Doppel-Europameister dieser U18-Titelkämpfe.
Doppel-Europameister wurde auch der Niederländer Niels Laros, der sowohl über 3.000m (8:11,49min) als auch über 1.500m (3:49,99min, CR) gewann. Zwei Medaillen holte die Dänin Sofia Thogersen, die nur 10 Stunden nach ihrer Bronzemedaille im 2.000m-Hindernislauf hinter den beiden Deutschen Kallabis und Budde im 3.000m-Lauf souverän mit 12 Sekunden Vorsprung die Goldmedaille holte.
Nicht ganz die Erwartungen erfüllte Serbiens „Wunderkind“ Angelina Topic, die zwar ihrer Favoritenrolle gerecht wurde und die Goldmedaille im Hochsprung gewann. Von der Tochter des Hochspringers Dragutin Topic, der 1990 Europameister im Hochsprung wurde, und der früheren Dreispringerin Biljana Topic, Bronzemedaillengewinnerin der WM 2009, hatte man aber insgeheim etwas mehr erwartet als ihre Siegerleistung von 1,92m, nachdem sie kürzlich mit 1,96m die Weltbestleistung ihrer Altersklasse eingestellt hatte.
Eine neue europäische U18-Bestleistung stellte hingegen der erst 15 Jahre alte Finne Topi Parviainen mit 84,52m auf, und entthronte damit keinen geringeren als Niklas Kaul, der die Bestleistung seit 2015 mit 83,94m hielt. Damit avancierte Parviainen zum jüngsten U18-Europameister aller Zeiten. Und auch bei den Frauen gewann in dieser Disziplin seine Landsfrau Veera Sauna-Aho mit 52,22m den Titel für das Speerwurf-verrückte Finnland.
Im Diskuswurf erzielte der Ukrainer Mykhailo Brudin, der im Februar vor der russischen Invasion nach Spanien geflohen war, mit 64,51m Championship Record, und widmete seine Goldmedaille seiner Großmutter, der früheren Weltrekordlerin und Goldmedaillengewinnerin von 1972 in München, Faina Melnik, die 2016 verstorben ist.
14 Medaillen für den deutschen Nachwuchs – drei Goldmedaillen am letzten Tag
Die jungen Leichtathleten und Leichtathletinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes errangen insgesamt 14 Medaillen und waren damit hinter Großbritannien zweiterfolgreichste Nation dieser Titelkämpfe.
Dabei erfüllten vor allem unsere Hindernisläuferinnen die in sie gesetzten Erwartungen und landeten einen nie gefährdeten Doppelsieg. Jolanda Kallabis (FT 1844 Freiburg), die Tochter des 3.000m-Hindernis Europameisters von 1998 Damian Kallabis (immer noch deutscher Rekordhalter mit 8:09,48min) war bereits als europäische Jahresbeste angereist und holte mit einer fulminanten letzten Runde die Goldmedaille in 6:20,22min. Damit unterbot sie die europäische Meisterschaftsbestleistung um sage und schreibe 14 Sekunden, und verpasste die europäische U18-Bestleistung der Ungarin Greta Varga (6:19,23min) nur deshalb – um knapp eine Sekunde – weil sie es bereits vor dem Ziel austrudeln ließ. Ihre Siegerzeit bedeutet jedoch nicht nur deutsche U18-Bestleistung, sondern sogar neuen deutschen U20-Rekord!
Hinter ihr lief Team-Kollegin Adia Budde (TV Altenholz) mit neuem persönlichem Rekord (6:28,09 min) zu Silber. Alle drei Medaillengewinnerinnen blieben in diesem Rennen unter dem alten Meisterschaftsrekord (6:34,52 min) aus dem Jahr 2016.
Hochklassiger Zehnkampf mit Amadeus Gräber an der Spitze
Die deutsche Tradition im Zehnkampf setzte Amadeus Gräber fort. Trotz einiger Rückschläge im Diskuswurf (drei Meter kürzer gegenüber seiner Leistung im Qualifikationswettkampf von Bernhausen) und im Speerwurf (nur 55,57m für den 66m-Werfer) siegte er schließlich nach einer furiosen Aufholjagd im 1.500m-Lauf (Bestzeit mit 4:32,21min) mit neuem Meisterschaftsrekord von 7.626 Punkten. Seine Bestleistungen im Weitsprung (6,88m), Hochsprung (1,96m), über 400m (50,27sec) und 1.500m waren hierfür letztlich ausschlaggebend.
Damit siegte bei der erst dritten Auflage der U18-Europameisterschaften bereits zum zweiten Mal ein Deutscher. 2016 hatte in Tiflis (Georgien) Manuel Wagner vom USC Mainz triumphiert.
In dem hochklassigen Wettkampf von Jerusalem erzielten neun der ersten zehn Athleten eine persönliche Bestleistung. Nur Goldmedaillengewinner Gräber war in Bernhausen sechs Pünktchen besser.
Eine überraschende Goldmedaille gewann Frederick Weigel im 10.000m Bahngehen. Überraschend deshalb, weil Weigel nicht in der Bestenliste dieser Saison aufgeführt war, weil er sich mit einer Leistung im Straßengehen und nicht mit einem Bahn-Wettkampf qualifiziert hatte. Der Sohn von Ronald Weigel, 1983 Weltmeister im 50km-Gehen für die ehemalige DDR und Gewinner von drei Olympischen Medaillen, siegte mit Championships Record von 44:01,60min.
Sprint-Silber für Kadiri und Okuku
Die als Jahresbeste über 100 Meter angereiste Chelsea Kadiri rannte im 100-Meter-Finale trotz neuer Bestzeit von 11,50 Sekunden „nur“ zur Silbermedaille. Zwar war Kadiri im 100-Meter-Halbfinale von Jerusalem mit 11,52 Sekunden sogar noch Meisterschaftsrekord gesprintet, aber im Finale wurde es dann erheblich schneller: Gold ging in 11,39 Sekunden (CR) an Nia Wedderburn-Goodison aus Großbritannien, die Magdeburgerin schnappte sich in 11,50 Sekunden die Silbermedaille, Bronze ging an die zweiten Britin Renee Regis (11,58 sec). Alle Medaillen-Gewinnerinnen sprinteten persönliche Bestleistung.
Holly Okuku war zwar als Europas Schnellste über 200m angereist (23,62sec), am Ende aber mit der Silbermedaille in 24,03sec zufrieden. Gold gewann in überlegener Manier die Britin Faith Akinbileje in windunterstützten (+2,5 m/s) 23,33sec und wiederholte damit den Einlauf über 100m vom Vortag: Großbritannien vor Deutschland.
Die Silbermedaille im 800m-Lauf der Frauen gewann Jana Marie Becker von der LG Wetterberg. Die erst 16jährige, die noch dem jüngeren U18-Jahrgang angehört, lag nach 400m durch eine taktisch schwächere Leistung in fast aussichtsloser Position auf dem letzten Platz, rollte das Feld aber dank einer 400m-Bestzeit von 54,76 Sekunden, die in Jerusalem auch für den Einzug ins 400-Meter-Finale gereicht hätte, von hinten auf. In mäßigen 2:09,52 Minuten, die dem taktischen Rennen geschuldet waren, eroberte sie sich schließlich noch den Platz auf dem Siegerpodest.
Johanna Göring springt im Sog von Angelina Topic zu Silber
Eine Silbermedaille erkämpfte sich auch Hochspringerin Johanna Göring hinter der serbischen Ausnahmespringerin Angelina Topic. Mit 1,88 Metern zeigte sie in Jerusalem (Israel) ihren besten Sprung der Freiluft-Saison.
Im vergangenen Jahr hatte Göring mit ihrem vierten Platz bei den U20-Europameisterschaften und einer Leistung von 1,92 Metern, mit der sie bis auf einen Zentimeter an die deutsche U18-Bestleistung aus den 80er Jahren herankam, für Furore gesorgt. In der Halle floppte sie dieses Jahr bereits über 1,90 Meter und gehört somit zu den ersten Verfolgerinnen von Angelina Topic.
Der als zweitbester Kugelstoßer im Feld angereiste Georg Harpf stieß die Kugel im Finale bereits im ersten Versuch auf 20,16 Meter und sicherte sich damit erwartungsgemäß die Silbermedaille. Den starken Türken Ali Peker, der die Kugel sogar auf 21,03m wuchtete (und ansonsten fünf „ungültige“ produzierte), konnte er allerdings nicht gefährden.
Eine überraschende Silbermedaille durfte Kugelstoßerin Chantal Rimke bejubeln. Im zweiten Versuch erzielte sie 16,86 Meter, nicht weit entfernt von ihrem Hausrekord von 17,08 Metern. Die eigentlich höher eingeschätzte Jolina Lange (PB 17,32m) wurde mit 16,35m nur Fünfte.
Pia Meßing (TV Gladbeck) steigerte ihren Hausrekord im Siebenkampf nach drei persönlichen Bestleistungen (Hoch: 1,69m, 200m: 25,41sec, 800m: 2:25,08min) um 70 Zähler auf 5.690 Punkte und gewann mit der Bronzemedaille die erste Medaille für das deutsche Team.
Nils Leifert lief über 110m Hürden sowohl im Vorlauf als auch im Semifinale persönliche Bestzeit, und belohnte sich mit seiner dritten PB hintereinander (13,60 Sekunden) im Finale mit der Bronzemedaille, seiner ersten internationalen Medaille.
100-Meter-Sprinter Benedikt Wallstein lief im Finale in 10,44 Sekunden neue persönliche Bestzeit und sicherte sich mit nur einer Tausendstel Vorsprung die Bronzemedaille. Wieviel diese Zeit aber wert ist beweist die Tatsache, dass der Meisterschaftsrekord, erzielt im Halbfinale der ersten U18-EM vor sechs Jahren, bis wenige Stunden zuvor noch bei 10,43 Sekunden stand.
Curly Brown siegt im Diskuswurf von Jerusalem
Die letzte deutsche Medaille der U18-Europameisterschaften in Jerusalem holte Diskuswerferin Curly Brown aus Frankfurt. Das 16 Jahre alte Wurftalent übertraf im ersten Versuch erstmals die 50-Meter-Marke und sicherte sich mit 50,64m die Goldmedaille. Milina Wepiwe (TSG Wehrheim) hingegen, als Europas Beste mit 53,18m im Diskuswurf angereist und eigentliche Favoritin dieses Wettkampfes, schied mit blamablen 37,73m bereits in der Qualifikation als Achtzehnte sang- und klanglos aus.
Und es gab auch noch weitere Enttäuschungen im deutschen Team. Weit unter den Erwartungen blieb die Speerwerferin Lorena Frühn, die mit einer Saisonbestleistung von 54,01m angereist war (2. Platz der europäischen Bestenliste), aber bereits in der Qualifikation mit nur 44,60m als 18. ausschied.
Eine herbe Enttäuschung gab es auch für Lilly Samanski (TSV Gräfelfing), die als beste Stabhochspringerin der Saison angereist war (4,21m) und sich Hoffnungen auf den Titel machen konnte. Nach nur 3,75 Metern beendete sie das Finale auf einem enttäuschenden fünften Platz. Gold gewann mit „nur“ 4,05 Metern die mitfavorisierte Griechin Iliana Triantafyllou.
Zweiter Platz im Medaillenspiegel
Das deutsche Team errang in Jerusalem 14 Medaillen (4x Gold, 7x Silber, 3x Bronze), verdoppelte damit die Medaillenausbeute im Vergleich zu den letzten U18- Europameisterschaften vor vier Jahren in Györ (4x Gold, 2x Silber, 1x Bronze) und belegte im Medaillenspiegel hinter Großbritannien den 2. Platz.
Die Briten waren die großen Gewinner dieser Titelkämpfe, und belegten mit 16 Medaillen (8x Gold, 1x Silber, 7x Bronze) unangefochten den ersten Platz in der Medaillenwertung. Dabei wurden alle acht Goldmedaillen ausschließlich von ihren Frauen errungen. Die britischen Athletinnen beherrschten die Laufwettbewerbe nach Belieben, und gewannen sieben der acht Laufstrecken von 100m bis 1.500m, einschließlich beider Staffeln. Die einzige Goldmedaille in den technischen Disziplinen gewann Cleo Agyepong im Kugelstoß.
Zypern gewann vier Medaillen (Gold sowohl im Hammerwurf der Frauen als auch im Hammerwurf der Männer, Silber im Hochsprung der Männer, Bronze im Hammerwurf der Frauen) und endete im Medaillenspiegel auf einem beachtlichen 10. Platz. Während Finnland im Speerwurf sowohl bei Männern und Frauen gewann, und Großbritannien die Laufstrecken der weiblichen Jugend dominierte, war das Hammerwerfen fest in zypriotischer Hand.
Die nächste U18-EM findet 2024 (18. – 21. Juli) in Bánska Bystrica (Slowakei) statt. Die Stadt ist in diesem Jahr Ende Juli bereits Ausrichter des Europäischen Olympischen Jugendfestivals (EYOF).
Text: Wilfried Walter; Bild: Torben Flatemersch
Bild: Jolanda Kallabis (1) und Adia Budde (665) bei der Jugend-DM 2021 in Rostock