„Hi, ich bin Nikki und ich bin transgeschlechtlich“ – diese einfachen Worte wählte Nikki Hiltz, um sich am 31. März 2021 öffentlich zur eigenen nicht-binären Geschlechtsidentität zu bekennen. Seitdem ist Hiltz nicht nur Spitzensportler:in, sondern vertritt auch lautstark die LGBTQIA*-Gemeinschaft.
Was bedeutet das? Nikki Hiltz wurde bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen. Jedoch fühlt sich Hiltz dieser Geschlechtsidentität nicht zugehörig, sondern identifiziert sich als nicht-binär. Das bedeutet, Hiltz ist weder männlich noch weiblich. So benutzte Nikki Hiltz beim eigenen Coming-out auch die Beschreibung (geschlechts)fluid: „Manchmal fühle ich mich wie eine Queen, an anderen Tagen […] wie ein Kerl, und andere Male identifiziere ich mich vollständig außerhalb der Geschlechter-Binarität. Es ist […] komplex, und ich versuche selbst noch immer, mich zurecht zu finden.“
Die nicht-binäre Identität in der Sprache – und im Leistungssport
Nikki Hiltz ist also weder „sie“ noch „er“. Im Englischen ist für nicht-binäre Personen das Pronomen they üblich. Im Deutschen gibt es ebenfalls Vorschläge für solche Pronomen, einer davon ist die Variante dey/deren/denen, die ich im weiteren Artikel benutzen werde, um über Nikki Hiltz zu schreiben. Zudem ist dey weder „Läufer“ noch „Läuferin“. Stattdessen ist dey Läufer:in. Mithilfe eines Doppelpunkts oder eines Sternchens kann man sichtbar machen, dass es mehr Geschlechtsidentitäten als weiblich und männlich gibt, und dass diese hier repräsentiert werden sollen.
Dass Nikki Hiltz als trans*-Athlet:in nach deren Coming-out weiter bei den Frauen starten darf, liegt daran, dass dey sich aktuell noch für keine geschlechtsangleichenden Maßnahmen entschieden hat. Dazu gehören beispielsweise die Einnahme von Testosteron und eine Mastektomie. In einem Interview gegenüber der New York Times stellte Hiltz klar: „Aktuell fühlt es sich für mich noch okay an, bei den Frauen zu laufen. Aber sobald das nicht mehr so ist, werde ich mich nicht dem Sport opfern. Die Beziehung zu mir selbst ist mir wichtiger als die zur Leichtathletik.“
Klassische US-College-Karriere
Wie für viele US-Athlet:innen begann auch für Nikki Hiltz die Laufbahn im College-Sport, die denen den Weg zu einer Profikarriere als 1.500-Meter-Läufer:in ebnete. Nach Zwischenstationen Oregon und Arkansas lebt dey mittlerweile in der Langstrecken-Hochburg Flagstaff (Arizona), wo dey bei Juli Benson trainiert. Global machte Hiltz erstmals 2019 bei der WM in Doha auf sich aufmerksam, wo dey Platz 12 belegte.
2021 verpasste dey die Olympia-Qualifikation deutlich mit Platz 13 bei den US-Trials, und auch 2022 reichte es nicht zur Qualifikation für die Heim-WM in Oregon.
Der lange Weg zu Olympia und zur Akzeptanz
Vor allem die verpasste Olympia-Teilnahme 2021 setzte Nikki Hiltz zu. Die Trials fanden nur einige Monate nach deren Coming-out statt, zu dem dey im Nachgang noch viel Gegenwind erlebte: Der Druck, sich selbst und die eigene Existenz erklären oder gar rechtfertigen zu müssen, sowie häufiges Misgendern ließen Hiltz sogar daran zweifeln, ob das Coming-out der richtige Schritt war. „Ich stand bei den Trials an der 1.500-Meter-Startlinie und dachte mir: Vielleicht ist es einfacher für alle, wenn ich mich gar nicht erst für das olympische Team qualifiziere“, so äußerte dey sich im Nachgang.
Doch seit 2021 findet für Nikki Hiltz ein spürbarer Wandel in deren persönlicher Leichtathletik-Welt statt: Die Akzeptanz unter anderen Leichtathlet:innen wächst, und Kommentator:innen benutzen bei Übertragungen die korrekten Pronomen. Diese Entwicklungen geben Hiltz Aufwind. Mittlerweile besitzt dey eine stolze Sammlung aus mehreren US-Titeln über 1.500 Meter und die Straßenmeile. Bei der Hallen-WM 2024 in Glasgow holte Hiltz sich Silber, und auch den Traum von Olympia erfüllte dey sich endlich: Bei den Trials 2024 errang Hiltz mit Meisterschaftsrekord (3:55,33 min) den US-Titel. Im hochkarätigen 1.500-Meter-Finale von Paris belegte Hiltz einen starken 7. Platz. Übrigens: Auch in der ARD-Übertragung des Finals benutzte das Kommentatorenteam Tim Tonder und Denise Krebs das Pronomen dey, wenn die beiden von Hiltz sprachen.
Aktivist:in und Leistungssportler:in in einem
In der Medienaufmerksamkeit, die sich an große Rennen anschließt, geht es immer um mehr als Nikki Hiltz’ sportliche Leistung. Dey wird regelmäßig auf deren Coming-out und deren Repräsentation für die LGBTQIA*-Gemeinschaft angesprochen. Diese Plattform nutzt Hiltz, um vor allem trans*-Jugendlichen ein Vorbild zu sein und sie zu stärken. „Das hier ist größer als ich“, so Hiltz nach deren Trials-Rekord 2024. „Diesen Lauf wollte ich für meine Community laufen“.
Gemeinsam mit Partnerin Emma Gee, selbst Hindernisläuferin, organisiert Hiltz jährlich Pride 5k, einen 5-Kilometer-Spendenlauf. Seit 2020 konnten so 230.000 US-Dollar für Trevor Project und Point of Pride gesammelt werden. Beides sind Organisationen, die queere Menschen unterstützen, z. B. durch Telefonseelsorge und bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Dieses zivile Engagement steht im Kontrast zum aktuellen politischen Klima der USA, aber auch vielen anderen Ländern, in denen LGBTQIA*-Rechte Einschnitte erfahren.
Auch wenn dey sich der eigenen Rolle für die LGBTQIA*-Gemeinschaft bewusst ist und diesem Thema ausreichend Aufmerksamkeit geben möchte, so sieht sich Nikki Hiltz dennoch weiter mehr in der Sportler:innen-Rolle. „Ich habe [in Interviews] wohl mehr über meine Trans*identität gesprochen als über die Rennen selbst. Aber eigentlich bin ich einfach nur ein Leichtathletik-Nerd und möchte Renntaktiken besprechen.“
Der Aufwärtstrend setzt sich fort
Und obwohl das politische Klima für queere Menschen seit letztem November nochmal rauer wurde, lässt Hiltz sich nicht unterkriegen: Anfang des Jahres holte dey sich die US-Titel über 1.500 und 3.000 Meter in der Halle. In die Freiluft-Saison 2025 startete dey mit einer neuen PB (1:58,23 min) über 800 Meter bei der Premiere des Grand Slam Track in Kingston (Jamaika) Anfang April. Beim anschließenden Interview zeigt Hiltz sich selbstbewusst: Nach Platz 7 bei den Olympischen Spielen sei nun der nächste Schritt eine Medaille.
Wir hoffen für Nikki Hiltz, dass dey auch noch 2028 in Los Angeles den olympischen Traum leben kann, unabhängig von den binären Kategorien im Leistungssport.
Text: Corinne Kohlmann, Bild: Gladys Chai van der Laage
Begriffe zum Thema
- Geschlecht: Das biologische Geschlecht (engl. „Sex“) wird durch körperliche Merkmale definiert. Das soziale Geschlecht (engl. „Gender“) wird Menschen aufgrund ihres biologischen Geschlechts gesellschaftlich zugeschrieben und geht mit Erwartungen einher, welche Rolle unterschiedliche Geschlechter erfüllen zu haben.
- Geschlechtsidentität: Damit ist das eigene Empfinden einer Person gemeint, zu welchem Geschlecht sie sich selbst zugehörig fühlt. Es kann sich von dem Geschlecht unterscheiden, das dieser Person bei Geburt zugewiesen wurde.
- Queer: Sammelbezeichnung für Menschen, die nicht sich nicht als cis und/oder nicht heterosexuell identifizieren.
- Cis/ cisgeschlechtlich: Eine Person ist cis, wenn sie sich dem Geschlecht zugehörig fühlt, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde (aus dem Lateinischen „cis“ = „diesseits“)
- LGBTQIA*: Englische Abkürzung für Lesbian (Lesbisch), Gay (Schwul), Bisexual (Bisexuell), Transgender/Transsexual, Queer, Intersexual (Intersexuell), Asexual (Asexuell) und darüber hinaus (*). Im Deutschen liest man manchmal LSBTQIA*.
- Nicht-binär: Eine Person ist nicht-binär, wenn sie sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlt.
- Trans*/ trans*geschlechtlich: Eine Person ist trans*, wenn sie sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlt, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Die hier genutzte Schreibweise „trans*“ wird vom Bundesverband Trans* e.V. empfohlen (aus dem lateinischen „trans“ = „hinüber“, „hindurch“).
- Coming-Out: aus dem Englischen („herauskommen“). Das Coming-Out bezeichnet, wenn eine queere Person sich gegenüber anderen Menschen zur eigenen Sexualität und/oder Geschlechtsidentiät bekennt, die in der Regel von der gesellschaftlichen Norm (heterosexuell und cis) abweicht. Ein Coming-Out kann in mehreren Stufen erfolgen, z.B. zuerst im Privaten und später in der Öffentlichkeit.
- Misgendern: aus dem Englischen übernommen. Misgendern bedeutet, dass eine Person nicht so angesprochen wird, wie es ihrer Geschlechtsidentität entspricht, sei es aus Unwissenheit oder mit Absicht. Teilweise werden trans* Personen mutwillig misgegendert von anderen (trans* feindlichen) Personen, die deren Geschlechtsidentität nicht anerkennen wollen.