Wegen einer Kommunikationspanne zwischen DLV und der Sporthilfe platzte für 77 Nachwuchssportler*innen die Aussicht auf 700 Euro monatliche Förderung. Nun ist immerhin die Basisförderung mit 300 Euro im Monat gesichert. Die Athletensprecherin Nadine Hildebrand erklärt, was man daraus lernen sollte und was eigentlich genau ihr Job als Athletensprecherin ist.
Nadine, wie geht es den betroffenen Athlet*innen jetzt?
Unterschiedlich. Einige sind froh, dass es 300 Euro geworden sind und somit zumindest ein paar Sorgen wegfallen. Andere – insbesondere diejenigen mit deutlich erfülltem Kaderrichtwert – sind über die Einteilung und die wegfallenden 400 bis 700 Euro (je nachdem ob man das „Deutsche Bank Sport-Stipendium“ noch dazu nimmt) weiterhin verärgert.
Nimmt die Basisförderung den Sportler*innen denn wirklich etwas ab, oder müssen sie im-mer noch kämpfen, um ihren Sport weiterzuführen?
Teils, teils. Viele Athleten werden zusätzlich noch durch Vereine, Eltern und teilweise Sponsoren schon gut unterstützt, sodass diese die Finanzierung übernehmen und nun etwas Last abnehmen. Die Zahl an Athleten, für die dieses Geld lebensnotwendig ist und die den Sport nun wirklich beenden müssten, ist eher gering. Ziel ist es natürlich, dass niemand den Sport beenden muss und auch Härtefälle noch irgendwie anderweitig aufgefangen werden können.
Jetzt steht die Förderung erstmal für ein Jahr. Was wird im darauffolgenden Jahr passieren?
Das ist jetzt für dieses Jahr eine einmalige Sonderlösung als Reaktion auf das aufgetretene Problem. Eine langfristige Lösung muss noch gefunden werden. Soviel ich weiß, finden gerade Gespräche zwischen dem DLV und der Sporthilfe statt, damit man nächstes Jahr nicht noch einmal in die gleiche Situation gerät. Wie eine Lösung aussehen könnte, weiß ich aktuell auch noch nicht. Ich denke aber, dass wir da nun genug Vorlaufzeit haben, um eine athletenfreundliche Lösung zu finden.
Welche Lehre ziehst du aus dieser Sache für dich als Athletensprecherin und auch für den DLV?
Schwierig zu sagen. Es sind viele Dinge, welche schwierig zusammenzufassen sind. So wie ich es im Nachhinein beurteilen kann, sollte eine Lehre für alle sein, dass Transparenz und offene Kommunikation in der heutigen Welt unerlässlich sind. Gerade mit und gegenüber den Athleten. Das hätte das Grundproblem nicht gelöst, aber wahrscheinlich einiges an Vertrauensverlust vermieden und die Wut vermindert. Solche Fehler sollten nicht passieren, aber sie können passieren. Nur dann muss man dies auch erkennen, intern eine gute Fehlerkultur haben und sich proaktiv um Besserung bemühen. So wichtig Geldgeber und andere Stakeholder sind: Der Sport funktioniert nicht ohne die Athleten.
Wie siehst du das Vertrauensverhältnis zwischen Athleten und dem DLV bzw. den entsprechenden Gremien?
Ganz ehrlich: Zurzeit ist es extrem schlecht. Für meine Athletensprecherzeit haben wir aktuell den Tiefpunkt erreicht. Was mich andererseits auch freut, ist, dass der Kontakt zur Athletensprecherin gewachsen ist. Viel mehr Athleten sind bereit, ihre Meinung zu äußern und gemeinsam dafür einzustehen. Besonders die Solidarität zwischen betroffenen und nicht betroffenen Athleten, inklusive vieler Topstars, war etwas sehr Schönes und Positives der letzten Wochen.
Meinst du die Reaktionen dir gegenüber oder dem DLV gegenüber?
Sowohl als auch. Als aktiver Athlet stehst du ja in einem ganz anderen Abhängigkeitsverhältnis zum DLV und dafür bin ich dann da: Dass ich die Dinge quasi anonym ansprechen und vielleicht auch lösen kann. Dazu hat es natürlich auch ein anderes Gewicht, wenn ich ein Thema mit ins Präsidium nehmen bzw. generell die Themen der Athleten bündeln kann. Ich glaube, dass die Athleten heute viel mehr mit der Position des Athletensprechers anfangen können und auch den Nutzen sehen. Und das ist gut, weil wir nur durch das Feedback der Athleten die Leichtathletik besser machen können.
Inwieweit seid ihr, dein Stellvertreter Maximilian Thorwirth und du, in die Neuformierung der Kader eingebunden gewesen? Wusstet ihr von vornherein, dass der Kader so groß werden würde?
Dass es den NK1 U23 nicht mehr geben soll, war schon länger in der Diskussion. Es wurde im Laufe des Jahres immer konkreter und dann auch so vorgestellt. Die Gesamtkaderan-zahl ist ja letztendlich auch gleich geblieben, aber es war klar, dass der PK natürlich etwas ansteigen muss oder eben viele aus der U23 einfach „verloren“ gehen. Dass die Athleten dann so ein gutes Jahr hatten und der PK um so viel gewachsen ist, war dann aber auch für mich etwas überraschend.
Wäre da ein Regler für die Zukunft, dass man die Norm verändert?
Ja und nein. Aus sportlicher Sicht kann das sicher nicht gewollt sein. Letztendlich würden wir dadurch die Gesamtkaderanzahl reduzieren, was vereinfacht gesagt bedeuten würde, dass weniger Leichtathleten in Deutschland gefördert werden. Zumal – und das muss auch mal so gesagt werden – die Normen ja nicht willkürlich gesetzt werden. Da erfolgt ja eine genaue Analyse und Zielbetrachtung. Die Athleten, welche die Norm haben, sind gut genug, um gefördert zu werden.
Die U23 ist ja noch dazu der heikle Übergang von der Jugend zu den Aktiven. Die Schule ist vorbei, das Studium beginnt und man muss sein Sportleben neu ordnen.
Ja, das stimmt. Hier muss das Leben neu sortiert werden und es ist natürlich auch eine Phase, in der die normale gesellschaftliche Fürsorgepflicht der Eltern – auch finanziell – abnimmt. Es kommt hinzu, dass wir in diesem Bereich auch mehr Quereinsteiger haben als in anderen Sportarten.
Kommen wir zu deiner Aufgabe als Athletensprecherin. Was macht sie aus?
Ich nehme gern die Formulierung „Ich bin die Klassensprecherin“. Im Prinzip vertrete ich die Athleten in jeglichen Belangen gegenüber dem DLV, dem DOSB und der Sporthilfe. Dafür gibt es den Athletensprecher im DLV und er hat einen guten Stand: Er wird von den Athleten gewählt und ist auch in der Satzung verankert. Es gibt Verbände, da wird man einfach bestimmt oder vom Präsidium gefragt, ob man es machen will. Das finde ich etwas komisch. Ich finde es schön, dass ich durch die Wahl den Rückhalt und den Arbeitsauftrag der Athleten habe. Ich sitze in bestimmten Gremien und habe dort auch Stimmrecht, z. B. im Präsidium und in der Kommission Leistungssport.
In welche Themen bist du dabei eingebunden?
Aktuell beispielsweise bei der Sporthilfe-Förderung. In der Kommission geht es um Nominierungsrichtlinien, Kaderbildungsrichtlinien und die Ernennung der Nationalmannschaft. Die Kommission berät an der Stelle allerdings nur und entscheidet nicht. Aber so kann man natürlich trotzdem mitwirken.
Wer trifft letztendlich die Entscheidung?
Kommt immer darauf an, wobei. Aber meistens ist es der Vorstand (Idriss Gonschinska, Norbert Brenner und Ralf Buckwitz) in Verbindung mit den Chefbundestrainern (Annett Stein, Dietmar Chounard und Elke Bartschat).
Gibt es denn Themen, in denen du gerne noch mehr eingebunden wärst?
Strukturell kann man eigentlich nicht meckern. Wenn alles immer funktionieren würde, wäre ich recht zufrieden. Aber manchmal funktionieren die Prozesse eben nicht so ganz und man hat das Gefühl, nicht richtig eingebunden zu sein oder der Stimme der Athleten wird nicht das richtige Gewicht gegeben.
Wie gehst du zusammen mit deinem Stellvertreter Maximilian Thorwirth damit um?
Es gibt manchmal Angelegenheiten, da braucht man nur einen Kontakt, manchmal müssen sich nur die richtigen Leute miteinander an einen Tisch setzen. Wenn wir das Gefühl haben, es läuft etwas richtig entgegen den Interessen der Athleten, dann muss man einen Weg finden, um sich Gehör zu verschaffen. Bei der Sache mit der Sporthilfe haben wir beispielsweise gemeinsam einen internen Brief an das Präsidium und den Vorstand geschrieben. Da muss man einfach situationsbedingt entscheiden, was das geeignete Mittel ist. Ich spreche mich mit Max ab, weil es satzungstechnisch nur einen Athletensprecher gibt und der Stellvertreter kommt sozusagen nur ins Spiel, wenn der Athletensprecher verhindert ist. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich auszutauschen, weil alles alleine zu entscheiden sicherlich schlechter wäre. Zudem hat Max als aktiver Athlet nochmal eine andere Sicht auf die Dinge als ich. Dazu bleibt das Amt ein Ehrenamt, sodass man neben dem Beruf nicht immer alle Termine wahrnehmen kann. Und da ist es natürlich gut, wenn Max gleich im Thema ist.
Kannst du als zurückgetretene Athletin denn nochmal gewählt werden?
Man kann bis zu 8 Jahre nach dem letzten Start in der Nationalmannschaft zum Athletensprecher gewählt werden. Ich könnte also noch einmal gewählt werden. Die Regelung war zuvor auf 4 Jahre beschränkt. Ich kann allerdings nicht selbst mitwählen und kann auch niemanden vorschlagen, das können nur die aktiven Athleten. Die nächsten Wahlen stehen 2024 an.
Interview: Fabienne Engels
- Artikel in der Süddeutschen Zeitung (31.01.2023) zur Einigung zwischen DLV & Sporthilfe